Von der Kirche im Dorf zum Kreisel in der Stadt

Inhalt
Plan vom Kreisel
Plan von 1850
Plan von 1880
Plan von 1895
Plan von 1910
Plan von 1925
Plan von 1940
Plan von 1955
Plan von 1970
Plan von 1985
Plan von 2000

Vortrag gehalten anlässlich der Generalversammlung des Verkehrsvereins Wädenswil am 22.03.2000 von René Peter

Ich habe ein Thema im Bereich der Stadtentwicklung gewählt. Das lag insofern nahe, als Diskussionen und Abstimmungen zeigen, dass die weitere Stadtgestaltung noch keineswegs entschieden ist: zu erinnern ist an die negative Abstimmung über den Gemeindesaal, die immer noch virulenten Angelegenheit der Kreiselgestaltung im Dorfzentrum, und vor allem auch die Frage nach der Ortsentwicklung im Neubühl. Die Situation ist also durchaus noch offen und so möchte ich mit dieser Arbeit einen Beitrag zu solchen und anderen Fragen der Wädenswiler Ortsentwicklung leisten. Als Sozial- und Wirtschaftshistoriker wähle ich eine Perspektive, die das Geschehen bündelt und auch eine, die etwas mehr als üblich die historische Tiefe ausloten möchte. Kurz und gut, der Titel zum Vortrag heisst "Von der Kirche im Dorf zum Kreisel in der Stadt". Die Kirche wie auch der Kreisel haben eines gemeinsam: Sie sind bedeutsame Orte und Orientierungspunkte im Dorf bzw. der Stadt.
Heute ist es der Kreisel - eine Behauptung, der ich hier Sinn zu verleihen versuche.
Vor 150 Jahren hingegen, war es ausschliesslich die Kirche, die als Orientierungspunkt diente - man sah sie von überall her; das Kirchengebäude war in vielerlei Hinsicht der Referenzpunkt Nummer eins, sowohl kulturell, wie wirtschaftlich als auch sozial. Dies drückt sich auch in der Gestaltung aus. Gerade die Wädenswiler Kirche ist ein hervorragendes bildendes Kunstwerk - ich denke an die Gipserarbeiten, ein bautechnisches Meisterwerk - ich denke an die säulenfreie Emporenkonstruktion. Sozial war die Kirche insofern einflussreich, als bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein wichtiger Teil der zivilrechtlichen Angelegenheiten kirchlich geregelt und verwaltet wurden. Erst die revidierte Bundesverfassung von 1874 unterstellte das Recht, eine Ehe einzugehen, unter den Schutz des Bundes (kirchliche Eheverbote wurden nichtig). Auch die Schulen kamen erst zu diesem Zeitpunkt unter staatliche Leitung.
Diese damalige hervorragende Stellung der Kirche zeigt sich auch in unseren Stadtplänen. Die Kirche zeigt sich als die grösste schwarze Fläche.

Plan 1850

Diese überragende Stellung hat die Kirche heute nicht mehr, was man auch aus dem heutigen Stadtplan herauslesen kann.

top

Plan vom Kreisel

Im heutigen Stadtplan als auch im täglichen Dorfleben hat der Kreisel die Kirche als wichtigster Orientierungspunkt ersetzt. Wenn ich jemandem den Weg erklären will, dann beziehe ich mich auf den Kreisel, etwa: "fahre bis zum Kreisel, biege dann rechts, links usw. ab." Der Kreisel wurde im mobilen Zeitalter zum dem Knotenpunkt par excellence. Er katapultiert quasi die Mobile, die in ihn hineingeraten nach bestimmten Regeln in die Quartiere. Niemand kommt an ihm vorbei.

Für diesen Vortrag habe ich 10 Stadtpläne in Abständen von je 15 Jahren gezeichnet. Gerne hätte ich noch einen weiteren Plan von 1830 konstruiert, doch reichte die Zeit dazu nicht mehr. Für diesen Plan hätte ich auf denjenigen von Diezinger zurückgegriffen, der – soweit mir bekannt ist – der erste geometrisch genaue Plan von Wädenswil ist.
Ich habe für meine Pläne runde Zahlen gewählt, damit man es mit dem Jahr nicht allzugenau nimmt. Die Plangrundlagen früherer Jahre geben, obwohl ausserordentlich zuverlässig, nicht immer den Bebauungsstand wieder, den sie in der Jahrzahl angeben. Dies ist erst seit der fotografischen Planaufnahme der Landestopographie möglich. Erst sie kann zuverlässig darüber Auskunft geben, wann ein Haus tatsächlich gebaut wurde.

2000 bzw. 1997 (10tausender Vermessungsamt, ergänzt RP)1985 bzw. 10tausender 1982, Landeskarte 1983
1970 bzw. 1972 (Landeskarte)
1955 bzw. 1957 (Landeskarte)
1940 bzw. 1945 (Siegfriedkarte)
1925 bzw. 1921 (Siegfriedkarte)
1910 bzw. 1912 (Siegfriedkarte)
1895 bzw. 1893 (Siegfriedkarte)
1880 bzw. 1888 ((Siegfriedkarte) Staatsbüro 1884, J. Benz 1880)
1865 bzw. (neue Karte fehlt, es existiert nur die Dufourkarte von 1866 in einem für diese Arbeit zu kleinen Massstab 1:100 000)
1850 bzw. 1843 - 1851 (Wildkarte)
1835 bzw. 1829/30 (Diezingerplan)

Schliesslich möchte ich zu bedenken geben, dass wir, wenn wir über Wädenswil sprechen, im Grunde nicht über den Ort an sich, sondern über Vorstellungen von Wädenswil sprechen. Das Medium von Plänen lässt dies besonders deutlich werden. Sie sind eine radikale Reduktion einer komplexen Wirklichkeit. Das heisst am Beispiel der Kirche veranschaulicht, dass die komplexe Stellung der Kirche in der Landschaft, in der Gesellschaft und Kultur von Wädenswil reduziert wird auf ein schwarzes Flecklein, das zu anderen schwarzen Flecklein auf dem Plan in einer Beziehung (und wirklich fast nur einem einzigen Verhältnis) steht. Unsere schwarzen Zeichen auf den Plänen bilden also keinesfalls die ganze Wirklichkeit ab. Das ist das Schöne daran, denn Flecken setzen sich zu Mustern auf dem weissen Grund zusammen. Ihnen werden Bedeutungen zugeordnet, die sich dann mit unseren bisherigen Vorstellungen verknüpfen und möglicherweise neue Vorstellungen von Wädenswil provozieren. Meine Aufgabe ist es nun, diese Muster zu lesen und zu befragen.

top

Plan von 1850

Was zeigt der Plan:
Ich habe für alle Pläne immer das gleiche Gebiet innerhalb der politischen Grenzen des heutigen Stadtgebietes berücksichtigt. Ein Grossteil der politischen Grenzen läuft einem Bach entlang. Ganz im Norden zum Beispiel der Meilibach, Richtung Süden folgt ein kleines Stücklein dem Aabach. Im Süden geht die Grenze durch das Sumpfgebiet beim Geeristeg, führt zum Moos südlich der Gisenrüti vorbei Richtung Osten zum Erni unterhalb der Tanne. Anschliessend geht die Grenze Richtung Norden zum Sennweidweiher, von dem hier das halbe Ufer gezeichnet ist, folgt dann schliesslich dem Reidbach entlang zum Giessen am See, wobei der ganze Giessen zu Wädenswil gehört.

Die obere lange Linie ist das Seeufer von der Au bis zum Giessen. Die übrigen ausgezogenen Linien sind Bäche oder Weiherufer. Eine Ausnahme ist die Schlossmauer.
Alle anderen schwarzen Flecken sind Gebäude.
Strassen habe ich keine eingezeichnet. Sie entstehen dadurch, dass sie allmählich als weisse Zwischenräume zwischen den Häusern entstehen.
Damit wir uns etwas orientieren können gebe ich Ihnen ein paar Orte an. Ganz oben liegt die Au und deutlich erkennen Sie das Auseeli. An dieser Stelle entsteht später das Strandbad. Hier ist der Steinacker in der Au. Im Südwesten, befindet sich eine Spinnerei beim Bachgadenweiher, die dann nach 1910 nicht mehr eingezeichnet ist. Wir erkennen den Gulmenbach, den Untermosenbach, den heutigen Töbelibach und noch andere kleinere Bäche. Im übrigen ist die ganze Landschaft am Abhang zum See hin von Weinbergen durchsetzt und im Dorf drin finden sich in den freien Räumen viele Gärten.
Wädenswil ist um 1850 noch ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf. Im Berg überwiegt wohl die Milchwirtschaft, die im 19. Jh. stark ausgebaut wird.
Wir stellen auch fest, dass dem See entlang noch keine Eisenbahn besteht und auf der ersten Höhenstufe keine Autobahn.
Wir habe also ein freies Feld. Man hätte um 1850 herum einem Architekten und Siedlungsplaner die Aufgabe stellen können, die Besiedelung des Gemeindegebiets frei zu planen. Das ist nicht so abwegig, denn in La Chaux de Fonds geschah dies nach dem Stadtbrand von 1794. Aus dem Jahr 1841 gibt es einen genauen Plan, der La Chaux de Fonds bereits damals durch das projektierte Strassennetz so angelegt zeigt, wie wir es heute auf der Landeskarte wiederfinden.

top

Plan La Chaux de Fonds

Der Plan von La Chaux de Fonds macht deutlich, dass das Dorfbild durchaus durch einen planerischen Willen in seiner Entwicklung vorbestimmt werden kann. Glarus wäre ein anderes Beispiel. In Wädenswil gab es kein solches Projekt. Wir haben deshalb andere strukturierende Elemente zu suchen. Es sind dies die Gebäude der neuen Institutionen des modernen Staates und die Fabriken, die das Wachstumsgebiet abstecken: Wädenswil wird umstellt von solchen Bauten.

Plan von 1880

Der stärkste Eingriff, sichtbar auch auf diesem Plan, ist die Einsenbahn. Die Seebahn von Zürich nach Ziegelbrücke und weiter ins Glarnerland wurde 1875 und die Wädenswil-Einsiedeln-Bahn 1877 eröffnet.
Der Bau der Eisenbahn führte zu einem völlig neuen Verlauf des Seeufers. An vielen Orten wurde das Ufer aufgeschüttet. Die unzähligen Haben und Stege, die der Arbeit am Wasser gedient hatten - dem Transport, der Fischerei, aber auch dem Waschen der Wäsche - verschwinden auf dem Plan von 1880.

Plan von 1850 nochmals
Bild der Frauen am Waschen
Bild von der Schiffahrt.

top

Plan von 1895

Im Plan von 1895 stellen wir keine grossen Veränderungen fest. Die zentralen Institutionen der Bildung und des sozialen und körperlichen Wohlergehens festigen sich. Nun dient das Schloss als Obst- und Weinbauschule, das Kinderheim Bühl wurde bereits 1870 gegründet das neue Eidmattschulhaus wurde 1890 gebaut, und der Schiessstand am Rotweg musste verlegt werden. Wahrscheinlich ist dies auf den technischen Fortschritt zurückzuführen; die besseren Gewehre verlangten nach einer neuen Umgebung?

Bild Molkerei/Fuhr

Wädenswil sieht noch immer sehr ländlich aus. Die dramatischen Veränderungen folgen erst jetzt. Im Jahr 1910 schlägt sich die Moderne endgültig in den Plänen nieder.

top

 

Plan von 1910

Im Plan von 1910 sind verschiedene grosse Flecken zu erkennen: Die Fabriken im Giessen, das Glärnischschulhaus und einige kleinere Bauten beim Bahnhof Au. Interessant sind aber die neuen Muster. Wir erkennen Neubauten, die nicht mehr als Einzelbauten, wie etwa eine Villa (z.B. Gessner im Rosenmattpark von 1899) oder auch noch die alten Wohnhäuser, hingebaut werden, sondern als Häuserreihen, die sich in der Nähe von Fabriken gruppieren. Unschwer identifizieren wir sie als Arbeiterwohnbauten. Es ist zudem eine Neuausrichtung der Bebauung zu beobachten. Die Häuser ordnen sich nicht mehr senkrecht zum See, sondern parallel zum See. Zudem werden neue Strasse sichtbar: die Oberdorfstrasse und die Etzelstrasse von 1900, an die sich nun die Katholische Kirche anschliesst. Die Schlossbergstrasse wird ebenfalls neu angelegt, zeigt sich aber noch nicht als weisse Linie.

Nun da der See als Haupttransportweg endgültig ausgedient hat, wird er für Touristen und Bewohner als wohltuende Kulisse und Erholungsraum neu erfunden. Seesicht ist erwünscht. Der See dient nun auch der Gesundheit. Für Sport und Spiel am und im Wasser wird eigens die Badeanstalt gebaut und 1897 eröffnet.
Dieses Verständnis des Sees als Erholungsraum ist nicht selbstverständlich. Dies lässt sich am Beispiel des Baus der Psychiatrischen Anstalt Burghölzli belegen. Als es in den 1860er Jahren darum ging, den richtigen Ort für diese Anlage zu finden - so habe ich es in einem Zeitdokument gelesen -, führte man das Argument an, es sei besser, den Bau hinter den Burghölzli-Wald zu stellen, damit die Depressiven nicht durch den Blick ins Wasser noch tiefer in ihre Finsternis hineingezogen werden. (Den Blick in den finsteren Wald hat man offenbar nicht ebenso bedrohlich empfunden...)
Ein Beispiel für das frühere Verständnis des Sees als Werkplatz und Transportweg gibt Wädenswil selber:
Der ganze Kehricht aus Wädenswil wurde mit Pferdewagen bei den Haushalten abgeholt und an der Stelle des heutigen Seeplatzes deponiert. So wurde der Platz allmählich aufgefüllt. Erst 1907 wurde diese Deponie aufgehoben. Die Deponie störte nun im Erholungsgebiet. Ab 1913 wurde der Kehricht beim Winterberg abgelagert; dies blieb so bis 1962.
Die Seesicht ist in Wädenswil auch heute noch eine besondere Herausforderung für Architekten, die schöne Wohnungen bauen möchten. Sie stecken im Dilemma, dass die Wohnstube nach einer Südausrichtung verlangt, was für Wädenswil bedeuten würde, die Fenster zum Hang hin zu orientieren. Der Blick gegen den See hin verlangt aber nach einer Öffnung gegen Nordosten. Ein Hausgrundriss, der dieses Dilemma zu lösen versuchte, zeigen die hellblauen runden Häuser unterhalb des Spitals.

Bauten

Die neu dazugekommenen symbolträchtigen Bauten des modernen Staates, bzw. der modernen Gesellschaft sind die Gemeindeverwaltung (sie zieht 1909 in den 1811 erstellten Fabrikbau), das Schulhaus Stocken (es wurde 1907 gebaut), das Schulhaus Ort (Au) und das Glärnischschulhaus (beide wurden 1909 eingeweiht). Weiter erhält das Gaswerk 1908 einen Neuen Gasbehälter, der als runder Punkt auf dem Plan hervortritt.

top

Plan von 1925

Im Plan von 1925 erkennen wir eine Fortführung dessen, was bereits angelegt ist: Die Fabriken werden grösser, die Häuser mehren sich. Dass diese Jahre die Zeit der revolutionären Entwicklungen der Jahrhundertwende verarbeiten, können wir auch anhand anderer Daten vermuten.

Folie Wohnbevölkerung

Die Bevölkerungsentwicklung in Wädenswil zeigt beispielsweise einen starken Anstieg zwischen 1890 und 1910 und flacht dann ab, bis sie in den 40er Jahren wieder zu steigen beginnt. Es spricht für die Umsicht der Wädenswiler Industriellen und wohl auch für den Druck, den die Arbeiter machten, dass die Wohnbautätigkeit nur leicht verzögert dieser Kurve folgt.

Folie Kurve Wohnhäuser

Die Anzahl Haushalte steigt um 26% Prozent, genau gleich wie die Bevölkerung. Allerdings steigt die Anzahl Gebäude nur gerade um 10 %. Eine gewisse Spannung ist daraus zu lesen, jedoch nur in der Tendenz, da diese Zahlen zu wenig aussagekräftig sind für die Darstellung des Wohnungsnotproblems, das damals zweifelsohne geherrscht hat. In diesem Kontext muss auch die Gründung der Wohnbaugenossenschaften gesehen werden. Einige wurden durch die Industriellen in Wädenswil, z.B. 1921 die Wohngenossenschaft Gessner AG, angeregt. Andere verdankten sich, wie beispielsweise, die Mieterbaugenossenschaft, die sich am Vorbild Zürich orientierte, der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich.
Diese Grundrisse zeigen Wohnhäuser, die durch Wohnbaugenossenschaften erstellt wurden. Die ideale Arbeiterwohnung von damals hat mehrere Zimmer von ungefähr gleicher Fläche, die um einen Gang gruppiert waren. Später werden die Räume unterschieden: Die Küche und Schlafzimmer sind klein und das Wohnzimmer ist gross. Die Häuser haben Gärten, in denen die Arbeiterfamilien Eigenes produzieren können.

top

Plan von 1940

Die zunehmende Bevölkerung und die steigende Anzahl Haushalte, aber auch die Zunahme der Produktion, für die die Fabrikneubauten in diesem Plan stehen, hatten im damaligen Wädenswil Konsequenzen für die "Unterwelt".
(Ich nenne zuerst neue Bauten, die zeichen der grösser gewordenen Bevölkerung, der ausgebauten Institutionen und der gewachsenen Produktion sind: Lagerhäuser der Firma Blattmann beim Bahnhof Au. Die Erweiterung der Metallwarenfabrik Blattmann, Gessner, Brauerei und Tuchfabrik, um nur einige zu nennen. Die zentralen Institutionen des modernen Staates haben sich vergrössert: das Krankenhaus (Spitalneubau von 1935), das Altersheim Fuhr 1928, das Kinderheim Bühl 1934. Es fehlt nur noch eine Bildungsinstitution, damit unser Katalog vollständig ist. Und siehe da – die Obst- und Weinbauschule und die Forschungsanstalt hat sich ebenfalls vergrössert; ein Laboratoriumsgebäude ist hinzugekommen. Südlich vom Schloss entdecken wir auch ein neues Einfamilienhäuschenquartier oberhalb des Friedhofes am Gerberacherweg, was sicher einen direkten Zusammenhang zu Ausbau der Forschungsanstalt hat.)
Nun also zur Unterwelt: Was in eine Stadt hereinkommt, muss irgendwie auch wieder hinaus. So auch die verdaute Nahrung und andere Abfälle. Alles Abwasser und anderes mit Wasser Hinausspülbares fliesst in den nächsten Bach und anschliessend in den See. Anfänglich geschah das noch ganz offen. Mit der zunehmenden Bebauung entsteht aber ein weit verzweigtes und kaum übersehbares unterirdisches Netz von Leitungen. In den späten dreissiger Jahren beginnt man sich zu überlegen, wie man die Abwassergeschichte in den Griff bekommen könnte und erstellt ein fertiges Projekt: eine Kanalisation mit der Kläranlage Rietliau. Dieses Projekt kam 1944 zur Abstimmung und wurde abgelehnt. 1947 wurde es angenommen, konnte aber nicht gebaut werden, wie es vorgesehen war, denn der Stollen durch den Bürglifelsen stellte sich aus geologischen Gründen als zu aufwendiges Projekt heraus. So kam die Seestrasse zur Ehre, den Hauptsammelkanal für die Abwasser aufzunehmen. Die Gesamteinrichtung von Kanalnetz und Kläranlage konnte jedoch erst 1968 eingeweiht werden. Bis dahin floss der Dreck von Wädenswil aus über fünfzig Mündungen zwischen Giessen und der Au ungesäubert in den See.

top

Plan von 1955

Bilder Fischli Häuser

Auffällig auf diesem Plan von 1955 sind neue Siedlungen in der Au. Allen voran die Siedlung im Gwad von Hans Fischli. Ich kann meine Begeisterung für diesen Architekten nicht verbergen. Wenn wir in Wädenswil spazieren, fällt diese Siedlung von 1943 eigentlich gar nicht auf. Hier auf dem Grundrissplan aber dominiert sie ein weites Feld. Sie weist jedoch mehrere Besonderheiten auf, ganz im Zeichen des neuen Bauens: Unter dem Slogan "Bauen für das Existenzminimum" waren die Häuser für die Angehörigen der Arbeiterschicht erschwinglich. Ein Haus kostete 72 Monatslöhne bzw. 6 Jahreslöhnen. Umgerechnet auf heutige Verhältnisse würde ein Haus also ausgehend von einem Monatslohn von 5000 Franken nur 360 000 Franken kosten. Zweitens sind die Häuser so konzipiert, dass sich die Arbeiter an den Bauarbeiten beteiligen konnten und so einen Teil von ca. 7 Monatslöhnen durch eigene Arbeit abgelten konnten. Drittens betrug die Bauzeit der Häuser nur gerade vier Monate. Dadurch, dass Holz verwendet wurde, brauchte der Bau keine Trocknungstzeit. Bei einem Holzbau kann das Dach sofort gedeckt und die übrigen Bauarbeiten am Trockenen erledigt werden. Viertens sind die Grundrisse der Häuser so gelegt, dass kein Haus dem anderen Schatten wirft. Zudem sind sie so raffiniert gestuft, dass nicht der Eindruck eines Reihenhauses entsteht.
Die Häuser stehen auch nie leer, was darauf schliessen lässt, dass sich die Bewohner in ihnen wohl fühlen.

Als 1952 die Siedlung auf einer anschliessenden Parzelle erweitert werden sollte, knüpfte die Wohnbauförderung Subventionen an die Bedingung, dass die Häuser ein Giebeldach erhalten. Fischli, der zwar die Flachdachbauweise vertritt, reagierte darauf gar nicht dogmatisch, indem er sich mit den Worten einverstanden erklärte: "Der Grundriss ist gut, daran hängen wir, - gut, kaufen wir uns einen andern Hut."
Auf unserem Plan von 1955 könne wir gleich noch zwei weitere Gebäude von Hans Fischli ausmachen. Es stehen von ihm zwei Wohnblocks von 1953 an der Waisenhausstrasse. Auch der herausragende Fabrikbau der Metallwarenfabrik Blattmann stammt von Hans Fischli.

top

Plan von 1970

Die 15 Jahre vor 1970 sind Jahre nie gekannten Wachstums. Der Plan zeigt diese dramatischen Veränderungen deutlich. Allen voran fällt die neue Autobahn auf, die 1966 eröffnet wurde. Wenn wir genau hinsehen (Pläne übereinander legen), erkennt man, dass auf dem Gebiet, durch das die Autobahn führt, Höfe standen, die umgesiedelt wurden.
Zweitens fallen die neuen Siedlungsgebiete entlang der Zugerstrasse in der Nähe der Autobahneinfahrt. Kenntlich sind der Werkhof (Wohn und Werkbauten), die Fabriken Galvanic sowie Baumann Rolladen schliesslich die Fabrik Störi.
Einschneidend sind auch die Änderungen in der Au. Man kann ohne weiteres sagen, dass die Au in den Jahren nach dem Krieg gebaut wurde: die Fabrik Standart, die Post, das Schulhaus Ort und die neuen Quartiere an der General-Werdmüller-Strasse, an der Johannes-Hirt-Strasse und auf der andern Seite der Steinackerstrasse die Wohnblöcke an der Alvier und Aubrigstrasse.
Aber auch auf der andern Seite des Winterbergholzes hat sich Erde bewegt. Wir erkennen wieder besondere Grundrissmuster: Sie stammen von Hans Fischli, der mit Fredi Eichholzer zusammenarbeitete. In der Gulmenmatt entstanden 1962 die ersten Wädenswiler Hochhäuser, wenn man diese so nennen darf. Im Dorf drin sind neue Flächen erkennbar: Migros, Coop.
Dann werden neu ganze Quartiere hingestellt: Neugutstrasse, Eichweid, Sandhof, Gerberacker, Speerstrasse.
Und wenn wir nochmals die Bevölkerungskurve heranziehen, so zeigt sich dort ein Aufschwung der Kurve in die gleichem Ausmass.

Bevölkerungskurve

Plan von 1985

Was wir aus der Bevölkerungskurve vermuten, bestätigt sich auf dem Plan von 1985: ein gebremstes Wachstum nach 1970. In den 15 Jahren zwischen 1970 und 1985 wurde lediglich da und dort noch aufgefüllt. Grössere Gebiete wurden in der Au überbaut. Am oberen Leihof kamen noch einige Blocks dazu. Doch muss ich jetzt zum Schluss kommen und zwar zum aktuellen Stadtplan von 2000.

top

Plan von 2000

Grössere Veränderungen zeigen sich wieder in der Au. Zu nennen sind die Bauten an der neuen Steinacherstrasse. Eine Besonderheit sind runde Punkte, bis anhin auf den Plänen kaum zu sehen, ausser auf denjenigen, die noch das Gaswerk in der Au oder am Gasiplatz zeigten. Jetzt fallen sie an zentralen Stellen auf; es sind die Verkehrskreisel.
Bisher gibt es zwei solche. Einen am Zentral und einen bei der Autobahneinfahrt. Beide markieren jeweils ein Zentrum: Eines quasi im Dorf und eines in einem neu entstehenden Stadtteil. Ja, ich meine das so. Denn was braucht es, damit eine Gemeinde funktioniert: Eine Beiz, die haben wir - das Neubühl - eine Polizei, die haben wir auch, Arbeitsplätze auch, einen Bahnanschluss: hier ist es der Autobahnanschluss, eine Schule und einen Laden. Die Schule wird ja nächstens gebaut und um das Einkaufszentrum wird zur Zeit heftig gestritten. Ist einmal alles beisammen, wird es möglicherweise nicht mehr lange dauern, dass mit Wädenswil geschehen wird, was mit der Au geschah: man spricht von der Au bei Wädenswil. In 50 Jahren wird es vielleicht heissen: Wädenswil bei Neubühl.
Soviel zum Kreisel Neubühl.

Der Kreisel am Zentral wiederum löst zwar ein Verkehrsproblem, doch scheint mir, er habe eine noch weitergehende Bedeutung. Das Verkehrsproblem, das der Kreisel löst, haben wir nämlich schon seit den 50 er Jahren, der Kreisel wurde aber erst jetzt realisierbar.

Verkehrsentwicklungsfolie

Die Folie zeigt, dass seit der Eröffnung der Autobahn die Seestrasse etwa gleichbleibend stark befahren ist. Das wachsende Verkehrsaufkommen wird also von der Autobahn geschluckt.
Der Kreisel ist eine seit den 30 er Jahren bekannte Lösung für Verkehrsprobleme an Strassenkreuzungen – in England seit langem absolut selbstverständlich.
Warum aber, so frage ich mich, wird es in der Schweiz und hier erst seit den 90er Jahren möglich, Kreisel zu bauen?
Ich denke, dies hat mit einem Mentalitätswandel zu tun. Erst jetzt lernen wir, mit dynamischen Gleichgewichten zu leben. Hinweise auf ein solches neues Lebensgefühl gibt es genügend. Ich brauche nur die Stichworte Surfen, Skaten und Snöben zu nennen.
Das ist der eine Grund, der andere hat mit dem Horror Vaqui zu tun. Wir halten Freiflächen fast nicht aus und sind getrieben diese sofort zu füllen. In einer konventionellen Kreuzung gibt es keine solche unnützen Freiflächen. Jeder Quadratzentimeter ist befahren, einmal von dieser und einmal von der anderen Seite, nach dem Rhythmus, den die Ampel vorgibt. Aber beim Kreisel ist eine leere Fläche notwendig. Es ist eine Fläche, die zu nichts anderem dient, als um sie herumzufahren. Das löst bei uns heftige Reaktionen aus und einen Streit um die beste Nutzung. Hier gibt es nun einfach nichts zu nutzen. Um diesen Fleck fahren wir herum. Er ist dazu da und für nichts anderes, doch das muss man erst aushalten können.
Wenn ich zum Schluss der künftigen Stadtentwicklung von Wädenswil etwas wünschen darf, dann wünsche ich ihr Mut zu freien Räum, zu weiten Flächen und grosszügig gestalteten Plätzen und Gebäuden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

top